Donnerstag, 29. Dezember 2016

In Memoriam Hellmuth Wachtel

Das Ende des Jahres 2016 möchte ich zum Anlass nehmen, nun endlich Dipl.Ing. Dr. Hellmuth Wachtel zu würdigen, der uns bereits Ende 2015 verlassen hat. Mit Hellmuth Wachtel geht einer der letzten Vertreter der klassischen Kynologen des 20. Jahrhunderts. Hellmuth Wachtel war nicht nur ein großer Kynologe, er war zudem eine unbestechliche Stimme für das Wohl und die Gesundheit des Hundes in unserer Gesellschaft.
Dr. Hellmuth Wachtel (1925 -2015)
Zusammen mit Prof.Dr. Wilhelm Wegner (Kleine Kynologie, Gutachten zur Auslegung von § 11b des Tierschutzgesetzes/Qualzuchtgutachten) legte er bereits Mitte der 1990er Jahre in seinem Buch "Hundezucht 2000" die Grundlage für eine fundierte Kritik an den Missständen der Rassehundezucht und zeigte heute noch aktuelle Eckpunkte für eine Wende auf. Er entwickelte das Konzept des Biohundes. In Büchern, unzähligen Artikeln, mit Engagement in Fachforen im Internet, Vorträgen und geduldig erläuternden Emails, z.B. mit dem Autor dieses Nachrufs, setzte er sich für das Wohl des Hundes und die Zukunft der Partnerschaft Mensch-Hund ein – in damals schon betagtem Alter.

Hellmuth Wachtel zeichnete aus, dass er niemals polemisch oder gar abwertend und beleidigend mit anderen Meinungen, Kritiken oder sogar Stimmen, die ihn unter der Gürtellinie anzugreifen suchten, umging. Er blieb immer honorig, sachlich, inhaltlich souverain. Ihm ging es eben um die Sache: Das Wohl der Hunde. Über mein eigenes Engagement in derselben Sache kam ich vor etwa 10 Jahren persönlich in Kontakt mit diesem großen Freund des Hundes. Auch wir hatten nicht immer eine Meinung. So schrieb Wachtel in seiner Rezension zu einem meiner Bücher: "Obwohl ich ein paar Details etwas anders sehe..." So war es vice versa. Auch ich konnte ihn kritisieren, ohne dass er dies persönlich nahm. Ganz im Gegenteil, entwickelte sich so immer wieder ein sehr fruchtbarer Dialog, eine wertvolle Bereicherung des Blickfeldes, die ich heute sehr vermisse. Obwohl schon hochbetagt, konnte sich schon einmal locker an einem Sonntag bis spät im den Abend hinein ein reger Austausch von Emails entwickeln - in der Sache durchaus widersprüchlich und hartnäckig Argumente austauschend, in der Methode aber sachlich, kameradschaftlich, ja freundschaftlich und immer wertschätzend.
Hellmuth Wachtel mit Amigo
Dann kam recht plötzlich seine letzte Email: "...es freut mich sehr, dass sie weiter im Interesse einer besseren Hundezucht arbeiten! Ich muss mich nun leider schon mit Altersproblemen abfinden und wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg!" Ich ahnte es. Leider habe ich von seinem Tod dann erst spät erfahren.

Wir vermissen den großen Hundefreund und Kynologen Dr. Hellmuth Wachtel.

Christoph Jung

Donnerstag, 15. Dezember 2016

Praxis der hundegestützten Therapie - Grundlagen und Anwendung

Hunde haben eine positive Wirkung auf die Psyche des Menschen. Das ist inzwischen wissenschaftlich belegt.  In "Tierisch beste Freunde: Mensch und Hund - von Streicheln, Stress und Oxytocin" haben wir die Geheimnisse der Seelenverwandtschaft Mensch-Hund beleuchtet und damit auch die elementaren Grundlagen der hundegestützten Therapie.

Mit "Praxis der hundegestützten Therapie: Grundlagen und Anwendung" haben sich nun zwei ausgewiesene Fachleute aus der Praxis zu Wort gemeldet. Der Psychotherapeut und Psychologe Dr. Rainer Wohlfarth, psychologischer Leiter an der Max-Grundig-Klinik im Schwarzwald und Präsident der ESAAT (European Society for Animal Assisted Therapy), und Bettina Mutschler, Dozentin für Hundeerziehung, ergänzen sich in ihrem Buch geradezu optimal in ihrem unterschiedlichem Zugang zu diesem Thema. Dr. Wohlfarth nähert sich aus der Sicht des Psychotherapeuten eher von der "menschlichen Seite", Frau Mutschler eher "über den Akteur Hund". Beiden zusammen gelingt somit eine umfassende und fundierte Darstellung der hundegestützten Therapie in all ihren Aspekten, von der Co-Evolution Hund-Mensch, der Geschichte und Entwicklung der tiergestützten Therapie, ihren wissenschaftlichen Grundlagen über die therapeutische Arbeit bis hin zu Tierethik und der Organisation, Evaluation, den rechtlichen Grundlagen und dem Qualitätsmanagement in der Durchführung der hundegestützten Therapie.
Praxis der hundegestützten Therapie: Grundlagen und Anwendung (mensch & tier)
von Rainer Wohlfarth und Bettina Mutschler
Hundegestützte Therapie ist immer nur eine Ergänzung einer anderen, qualifizierte Therapiemethode - fundierte Ausbildung nötig

Der therapeutische Schwerpunkt wird dabei aus psychotherapeutischer Sicht beleuchtet mit Ausblick auch auf andere Therapieformen wie Ergo- oder Physiotherapie. Sehr klar und deutlich wird hergeleitet, dass die hundegestützte Therapie IMMER ein Zusatz zu den grundlegenden Therapieverfahren wie Psychotherapie, Ergo- und Physiotherapie ist und NIE ein eigenständiges Therapieverfahren. Voraussetzung ist somit ein Therapeut mit fundierter Ausbildung, der sich zusätzlich in hundegestützter Therapie weitergebildet hat. Hier liegt, wie die Autoren darlegen, bereits die Schwierigkeit, da es bisher noch keine einheitliche zertifizierte Ausbildung in hundegestützter Therapie gibt.

Der Hund als Arbeitspartner

Immer aber steht der Klient im Fokus, der Hund ist Arbeitspartner nicht Arbeitsmittel, im Buch passend als "Therapiebegleithund" benannt. Der Hund macht  aus der therapeutischen Dyade eine Triade und bringt  immer auch eigene Aspekte und seine Persönlichkeit mit ein. Hierin liegt der zusätzliche Gewinn der hundegestützten Therapie aber auch ihre Herausforderung. Hunde "ergänzen das Mängelwesen Therapeut mit ihren ganz bestimmten Qualitäten" wie ihrer non verbalen Kommunikation, ihrem Leben im Augenblick, ihrer Kooperation sowie ihrem Vertrauen und ihrer auch körperlichen Zuwendung, die so mit einem menschlichen Therapeuten absolut undenkbar, ja obsolet ist.

Hundegestützte Therapie wirkt über eine echte emotionale sichere Bindung, die Vertrauen und Entspannung fördert und Stressreaktionen senkt. Hundegestützte Therapie ist immer eine zielgerichtete und strukturierte Arbeit und hebt sich so von den Besuchen einer Hundehalterin mit ihrem Familienhund im Altenheim deutlich ab. In der hundegestützten Therapie wirkt der Hund u.a. als "Eisbrecher", Bindungsfigur, Motivator, Projektionsfläche, Förderer von Kommunikation und Selbstwert. Immer wieder thematisieren die Autoren dabei, dass sowohl der menschliche als auch der tierische Therapeut eine umfassende und spezifische Ausbildung benötigen. Dabei steht neben dem Klienten immer auch das Wohlergehendes Hundes im Fokus.

Insgesamt aus meiner Sicht das bisher beste Buch zum Thema hundegestützte Therapie mit praxisorientiertem Anspruch. Das Buch informiert umfassend über alle praxisrelevanten Aspekte der hundegestützten Therapie ohne dabei "Kochrezepte" für den Hausgebrauch zu liefern; denn hundegestützte Therapie ist eine fachbezogene Weiterbildung, die in die Hand qualifizierter Ausbildungsinstitute, die teils noch zu schaffen wären, gehört.

Ein Beitrag von Daniela Pörtl, Ärztin

Leiterin einer Psychiatrischen Institutsambulanz
Autorin (zusammen mit Christoph Jung) von "Tierisch beste Freunde: Mensch und Hund - von Streicheln, Stress und Oxytocin" im Schattauer-Verlag, Stuttgart erschienen.

Freitag, 2. Dezember 2016

Mensch, Hund!

3Sat sendet am Donnerstag, 8.12.16 um 20.15 Uhr die Dokumentation: "Mensch, Hund! Der Rasse-Wahn und seine Folgen". Im Film von Klaus Kastenholz werden Missstände in der Hundezucht angeprangert und nach Auswegen geschaut. Es ist eine Wiederholung von 3Sat von September 2013, aber - leider - immer noch aktuell. Danach kommt Scobel, wo das Thema Schönheit ganz allgemein weiter vertieft wird.

Wer das Thema Mensch-Hund weiter vertiefen will, dem seien bei dieser Gelegenheit folgende Optionen empfohlen:
  • DOCnDOG - Die Akademie für Hundefreunde
Tierisch beste Freunde: Mensch und Hund
Von Streicheln, Stress und Oxytocin

Hier geht es darum, wie aus der Beziehung zwischen Mensch und Wolf überhaupt der Hund entstehen konnte und worauf diese einmalige Verbindung zweier Spezies gründet und funktioniert.

Am 5. April 2017, 19 Uhr in Rödinghausen (Nähe Bielefeld)
  • 3. Rostocker Vierbeiner Symposium
Wissenschaft trifft Hund
Der Wolf. Der Hund. Der Mensch.

Mit Vorträgen von Elli Radinger, Christoph Jung, Daniela Pörtl

Am 17. Juni 2017, 9 -17 Uhr in der Universität Rostock
  • Dokumentarfilm „Freund oder Feind“ über die Ambivalenz der Mensch-Hund-Beziehung
Der Film von Ruth Stolzewski kommt in diesen Tagen in den Handel. Hier bei amazon.de


Bereits 2009 erschienen aber  - leider - immer noch aktuell:
https://www.amazon.de/Schwarzbuch-Hund-Menschen-bester-Freund/dp/3837030636/ref=asap_bc?ie=UTF8

Und die Hintergründe dieser besonderen Beziehung wissenschaftlich beleuchtet in: 

Sonntag, 13. November 2016

Hund, Barf und Getreide, neue Erkenntnisse der Forschung

Ist Getreide schädlich für unsere Hunde? An dieser Frage scheiden sich nicht selten die Geister der Hundefreunde. Seit einigen Jahren geht die Behauptung durch die Szene, Getreide sei als Nahrung ungeeignet, ja gefährlich für Hunde. Viele Futtermittelhersteller werben seither offensiv mit dem Label, ihr Produkt sei frei von Getreide, als Merkmal guter Qualität. Die meisten BARF- und Rohfutter-Anbieter halten per se schon einmal nichts von Getreide und befeuern diesen Trend.

Dabei wird gerne auf den Wolf verwiesen. Der Wolf sei ein Fleischfresser und der Hund stamme schließlich von diesem ab. Deshalb sei es die natürliche Ernährung des Hundes, wenn diese möglichst weitgehend der Ernährung des Wolfs entspricht. Extremform dieser Auffassung ist die in letzter Zeit in Mode gekommene Prey-Methode, die ganze Tiere, etwa Kaninchen oder Hühner oder große Stücke anderer Tiere, als Futter für den Hund propagiert.
(Foto: Christoph Jung)
Evolution der Ernährung vom Wolf zum Hund

Allerdings sind auch das nur grobe Annäherungen an die Ernährung des Wolfes. Wölfe sind kollektive Hetzjäger, deren Hauptbeute in unseren Breiten aus Rehen besteht, jedenfalls größerem Wild. Zudem sind Wölfe recht flexibel, sie nehmen gelegentlich auch pflanzliche Kost oder Fische. Auf den Kanada vorgelagerten Pazifik-Inseln gibt es eine Wolfspopulation, die sich praktisch ausschließlich von Fischen und Krebsen ernährt. Wilde Wölfe haben zudem einen ganz anderen Nahrungsbedarf als Hunde. Sie sind Hetzjäger, die große Entfernungen zurücklegen und im Ernstfall an ihre körperlichen Leistungsgrenzen gehen müssen, um eine Jagd erfolgreich zu beenden. Dann hauen sie sich den Magen voll mit riesigen Mengen Fleisch, um dann wieder tagelang fasten zu können. Unsere Hunde leben da ein wenig anders - und das seit vielen tausenden von Jahren. Hunde sind nicht als Wölfe, auch nicht als zahme Wölfe zu verstehen. Ich will an dieser Stelle anlässlich aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse nur auf eine Frage eingehen:

Zählt Getreide zur natürlichen Ernährung des Hundes?

Hierzu will ich auf zwei ganz aktuelle, wissenschaftliche Untersuchungen verweisen. Beide Untersuchungen befassen sich mit Alpha-Amylase 2B. Das ist ein Enzym, das bei Mensch wie Hund die Verarbeitung von Stärke (Polysaccharide), etwa aus Getreide, zu Zucker und damit die Aufnahme als Nahrung ermöglicht. AMY2B bezeichnet das Gen, das dieses Enzym kodiert. So kann man anhand der Genausstattung, die man heute viel genauer als noch vor wenigen Jahren lesen kann, auf die Fähigkeit schließen, Stärke in der Nahrung zu nutzen. Bereits 2014 war in einer Untersuchung nachgewiesen worden, dass auch beim Hund die Anzahl der AMY2B-Kopien im Genom mit der Fähigkeit zusammenhängt, das Enzym Amylase zu produzieren (1).
Stand von Mars (hier Royal Canin) auf einer Ausstellung des VDH
(Foto: Christoph Jung)
Im Gegensatz zum Wolf: Hunde können Stärke aus Getreide verarbeiten.

Im Juli 2016 veröffentlichte ein Team aus Mikrobiologen und Biochemikern der Universitäten Uppsala (Schweden) und Sydney (Australien) eine weitere Untersuchung zum Thema. Sie untersuchten das Blut von 221 Hunden, darunter 95, die ursprüngliche Hunde repräsentieren (u.a. 25 australische Dingos), sowie 126 Rassehunde. Zusätzlich wurden die Blutwerte der 171 Hunde (darunter 19 Grönlandhunde) genommen, die bereits in der oben angeführten Studie von 2014 untersucht worden waren. Insgesamt lagen also die Daten von 392 Hunden vor. Die Anzahl der AMY2B-Kopien im Genom der Hunde schwankte zwischen 11 und 3. Die regionale Verteilung der Häufigkeit entspricht den Wissenschaftlern zufolge exakt den historischen Schwerpunkten der Herausbildung des Getreideanbaus in der Geschichte der Menschheit. So wundert es nicht, dass die Hunde aus arktischen wie die australischen Gebieten die geringsten Amylase-Fähigkeiten zeigten, im Gegensatz zur breiten Mehrheit der Hunde, die mit 11 AMY2B-Genabschnitten ausgestattet sind. Allerdings ist selbst die relativ schwache Fähigkeit der arktischen Hunde immer noch besser ausgebildet als die der Wölfe. Die Forscher fassen zusammen: "Wir zeigen, dass das Verteilungsmuster geographisch mit der Ausbreitung der prähistorischen Landwirtschaft korreliert und kommen zu der Schlussfolgerung, dass die Ernährungsumstellung nicht mit der ursprünglichen Domestikation, sondern mit der anschließenden Herausbildung und Verbreitung der Landwirtschaft in den meisten, aber nicht allen Regionen der Welt zusammenhängt." (2)

Gemeinsame Evolution: Mit dem Ackerbau kam die Fähigkeit, Stärke als Nahrung zu nutzen.

Im November 2016 wurde wieder eine Studie zu diesem Thema veröffentlicht. Diesmal schaute man direkt in die Vergangenheit. Man untersuchte die DNA aus fossilen Zähnen von 13 früh- und vorgeschichtlichen Hunden, zwischen 4.000 und 15.000 Jahren alt, hinsichtlich der enthaltenen AMY2B-Kopien. Es zeigte sich, dass Hunde die Fähigkeit, Stärke zu verdauen, zur gleichen Zeit wie die Menschen entwickelten. Vor 7.000 Jahren erhöhte sich die Zahl der Kopien des Amy2B-Gens sprunghaft. Der Zeithorizont der genetischen Veränderungen stimmt mit dem Zeitfenster der Einführung der Landwirtschaft in Europa genau überein. Das Forscher-Team aus Frankreich, Schweden, Russland und Rumänien fast zusammen: "In dieser Studie haben wir Beweise für eine Erhöhung der Amylase-Gen-Kopienzahl in alten Hunde-Genomen gefunden, die ein festes ante quem während des 7. Jahrtausends cal BP in Südosteuropa vorweisen. Wir haben gezeigt, dass sich die heutige Fähigkeit der meisten Hunde, Stärke zu verdauen, nicht aus Selektion der Abstammungslinien während der klassischen Antike oder aus der Zucht der modernen Rassen des 19. Jahrhunderts ergibt, vielmehr spätestens im Neolithikum zwischen dem 10. und 7.-5. Jahrtausend cal BP, zumindest in verschiedenen Regionen West- und Osteuropas und Südwestasiens begann." Die Wissenschaftler fahren fort: "Die Geschichte der Amy2B-Erweiterung bei Hunden legt nahe, dass die für die Verdauung von Stärke verantwortlichen Gene bei Mensch wie Hund möglicherweise ähnliche Veränderungen durchaufen haben." (3)*
Wenn`s um die Wurst geht... (Foto: Christoph Jung)
Co-Evolution von Mensch und Hund

Mit seiner bereits vor mehr als 30.000 Jahren beginnenden Domestikation wurde der Mensch mit seinen Lebens- und Ernährungsgewohnheiten für den Hund zu dessen sozialem Zentrum. Der Hund wurde zum Lebens- und Arbeitspartner des Menschen, durchschritt mit ihm sämtliche evolutionären Sprünge seit der Altsteinzeit. Vielleicht ermöglichte erst die Zusammenarbeit mit dem Hund epochale Sprünge wie etwa die Gewinnung der Kontrolle über wilde Ziegen und Schafe, die den Beginn der "Vieh"-Haltung markieren. Der Hund war dabei, als die Menschen nach und nach zum Ackerbau übergingen. Und, wie die angeführten Untersuchungen untermauern, der Hund veränderte auch seine Ernährungsgewohnheiten zusammen mit dem Mensch. Die Menschen mussten sich auf neue Nahrung einstellen. So entwickelten die Menschen Europas im Zuge der Milchwirtschaft die Fähigkeit, Laktose zu verarbeiten. So entwickelten sie immer intensiver die Fähigkeit, die im Getreide enthaltene Stärke als Nahrung zu nutzen.

Begleiter des Menschen auch bei der Nahrung

Die Ernährung des Hundes war seit tausenden von Jahren der des Menschen angepasst. Wahrscheinlich bestand sie - neben Mäusen und Ratten, die der Hund im Sinne der Menschen kurz hielt und beispielsweise gelegentlich im eigenen Interesse erjagten Kaninchen - in Wesentlichen aus Abfällen und Resten der menschlichen Nahrung, die sich ständig veränderte. Die quasi natürliche Ernährung des Hundes hat diese Entwicklung unmittelbar mitgemacht. In diesem Umfeld bildete der Hund sogar die Fähigkeit heraus, Getreide als Nahrung zu erschließen; eine Nahrungsquelle, die dem Wolf weitestgehend fremd war und ist (bestenfalls als Mageninhalt von im Ganzen verspeisten Kleinsäugern oder Vögeln). Entsprechend kennen wir aus der Antike zahlreiche Belege für die Ernährung von Hunden mit Getreideprodukten oder auch Milch. Der römische Agrarwissenschaftler Columella, der um das Jahr 50 ein zwölfbändiges Standardwerk über die Landwirtschaft "De re rustica" verfasste, empfahl "Gerstenmehl und Molke" als besonders hochwertige Hundenahrung, etwa für einen kranken Hund oder eine säugende Hündin. Aber auch noch viel ältere Zeugnisse der Menschheit weisen auf diesen Bestandteil der Hundenahrung hin.

Es soll hier allerdings keineswegs dafür gesprochen werden, dass Hunde kein rohes Fleisch oder andere tierische Nahrung erhalten oder überwiegend mit Getreide ernährt werden sollten. Es ist auch nichts gegen eine ideologiefreie, gemäßigte Rohfütterung einzuwenden. Für Hunde zählt es zu den höchsten Genüssen, ungestört an einem fleischigen Rinderknochen zu nagen und das tut ihnen sicher nicht nur ernährungstechnisch vielmehr auch psychisch gut. Eine pauschale Ablehnung von Getreide als Teil der Ernährung des Hundes hat jedoch keine Grundlage aus dem wissenschaftlichen Verständnis des Hundes - weder evolutionär noch physiologisch betrachtet. Die zuweilen geschürte Angstmacherei vor Getreide in Hundenahrung hält einer genaueren Betrachtung nicht stand und scheint wohl eher einem wirtschaftlichen Konzept denn dem Wohl der Hunde und ihrer Menschen geschuldet. Dieser Schluss ergibt sich alleine schon aus einem tieferen Verständnis der gemeinsamen Geschichte von Mensch und Hund. Die aktuellen Studien* stützen eine solche Sicht lediglich. Zudem muss darauf hingewiesen werden, dass der Hund bei aller Co-Evolution mit dem Menschen immer noch über ein anders konzipiertes Verdauungssystem als der Mensch verfügt, ein Verdauungssystem, dass eben weit mehr dem des Wolfes als dem eines Menschen gleicht.

Quellen
  • (1) Arendt M, Fall T, Lindblad-Toh K, Axelsson E (2014), Amylase activity is associated with AMY2B copy numbers in dog: implications for dog domestication, diet and diabetes. Anim Genet, 45: 716–722. doi:10.1111/age.12179
  • (2) Arendt M, Cairns KM, Ballard JWO, Savolainen P, Axelsson E. (2016), Diet adaptation in dog reflects spread of prehistoric agriculture. Heredity 117, 301–306. doi:10.1038/hdy.2016.48
  • (3)* Morgane Ollivier, Anne Tresset, Fabiola Bastian, Laetitia Lagoutte, Erik Axelsson, Maja-Louise Arendt, Adrian Balasescu, Marjan Marshour, Mikhail V. Sablin, Laure Salanova, Jean-Denis Vigne, Christophe Hitte, Catherine Hänni (2016) Amy2B copy number variation reveals starch diet adaptations in ancient European dogs. R. Soc. open sci. 2016 3 160449; Published 9 November 2016. doi:10.1098/rsos.160449 
(Die Zitate sind eigene Übersetzungen)

Ein Artikel von Christoph Jung

* Anmerkung zum Thema "unabhängige Forschung":
folgt, Stichwort "Funding durch Nestlé Purina"

Montag, 10. Oktober 2016

Tod und Trauerbewältigung beim Tod des Hundes

Mit dem Hundemagazin HundeWelt führte Christoph Jung, Diplom-Psychologe und Hundefreund, nachfolgendes Interview zu einem Thema, das alle Hundefreunde irgendwann ganz persönlich betrifft, wovor Viele Angst haben, ein schmerzvolles Thema: Wenn unsere lieben Hunde gehen müssen...

HundeWelt: Was ist eigentlich unter Trauer zu verstehen?

Christoph Jung: Trauer ist eine unserer elementaren Gefühlslagen. Trauer wird in der Regel durch den Verlust eines wichtigen Mitglieds des sozialen Umfelds ausgelöst. Wir sind hochsoziale Lebewesen. Bricht hier etwas weg, so geht ein Teil von uns selbst, ein Teil unserer Identität verloren. Trauer ist ein Prozess unserer Psyche, den wir ernst nehmen und zulassen müssen. Nur so kann der Verlust verarbeitet werden.

HundeWelt: Darf man um seinen Hund trauern?

Christoph Jung: Hunde zählen zu unserem engsten sozialen Umfeld. Nicht wenigen Menschen steht ihr Hund sogar näher als manche Mitglieder ihres menschlichen Umfelds. In der Regel haben wir eine intensive emotionale Bindung mit unserem Hund. Sein Verlust, sei es durch Tod, Scheidung oder andere Umstände erzeugt in uns das Gefühl der Trauer. Wie stark das Gefühl ist, hängt von vielen Faktoren ab. Der Hund ist jedenfalls auch objektiv ein wichtiger Sozialpartner des Menschen. Unsere Evolution ist seit mehr als 30.000 Jahren aufs Engste verzahnt. Das spiegelt sich unbewusst in unseren Gefühlen wieder.
HundeWelt:  Wann ist der richtige Zeitpunkt, Abschied zu nehmen?

Christoph Jung: Mehr als 80% aller Hunde werden vom Tierarzt über die Regenbogenbrücke geschickt. Das heißt, es ist eine bewusste Entscheidung. Wir müssen uns damit abfinden, wenn die Zeit gekommen ist. Wir sollten diese Herausforderung positiv annehmen und die letzten gemeinsamen Tage innig und bewusst erleben. Dies anzuerkennen ist zugleich die erste Phase der Trauerarbeit. Es ist oft schwer, den richtigen Zeitpunkt zu finden. Spätestens wenn unser Hund keine Lebensfreude mehr zeigt, ist es soweit. Da darf man nicht egoistisch sein. Ich selbst habe, wenn das Ende absehbar war, mit meinem langjährigen Tierarzt die Verabredung getroffen, dass er dann zu uns nach Hause kommt.

HundeWelt:  Viele Menschen halten das Trauern um einen Hund für übertrieben Sie sagen, es sei schließlich nur ein Tier. Was denken Sie darüber?

Christoph Jung: Im Christentum wie im Islam ist einzig der Mensch das von Gott auserwählte Geschöpf. Heute noch vertreten Geistliche, dass Trauergefühle für ein Tier unangemessen seien, dass dies ein Privileg des Menschen für Menschen sei. Diese Einstellung spiegelt sich in der landläufigen Meinung wieder, es sei schließlich nur ein Tier. Trauer um einen Hund findet in unserer heutigen Gesellschaft nur verhalten Akzeptanz. Die Trauerkultur ist hier verloren gegangen. Das war früher anders. Das zuweilen schlechte Ansehen des Hundes in den vergangenen Jahrhunderten ist ein Sonderfall der Geschichte der Menschheit. In den vielen tausend Jahren davor hatte der Hund ein hohes Ansehen.

HundeWelt:  Wie denken Sie darüber, Hunde in Gräbern zu bestatten?

Christoph Jung: Ein Grab ist eine Gedenkstätte für die Überlebenden, ein Platz zum Trauern, eine Ehrerbietung für den Verstorbenen. Es ist nun einmal Realität, dass wir eine sehr enge Bindung zum Hund aufbauen können. Man hat viele schöne gemeinsame Stunden verbracht. Man hat schwere Zeiten gemeistert. Viele Hunde leisteten wundervolle Arbeit als Assistenzhunde, beim Hüten, bei der Jagd, die Kinder sind mit ihm aufgewachsen. Was spricht dagegen, einem vertrauten, vielleicht sogar geliebten Begleiter ein Denkmal zu setzen, ihm seine letzte Ehre zu erweisen? In Oberkassel bei Bonn finden wir den ältesten Beweis aus der Steinzeit. In dem 14.000 Jahre alten Doppelgrab wurden ein Mann, eine Frau und zwischen ihnen ein Hund begraben. Wir finden gemeinsame Gräber von Menschen und Hunden aus allen Epochen der Geschichte und Vorgeschichte. Die Zeitschrift National Geografic berichtet aus Südamerika: „Wie heutige Hundeliebhaber ihre Haustiere mit Häppchen vom Tisch verwöhnen und Hunde einen Platz auf dem Bett haben, so behandelten die alten Peruaner ihre Hunde als Familienangehörige. Sie erhielten ihr eigenes Grab, und in einigen Fällen sind sie mit Decken und Lebensmitteln begraben.“ Reichskanzler Otto von Bismarck ließ seine Doggen auf dem Schloss beerdigen wie der Große Fritz seine italienischen Windspiele. Bereits 1899 wurde in Paris der erste neuzeitliche Hundefriedhof eröffnet. Man muss eigentlich umgekehrt die Frage stellen: warum haben es die Menschen der Neuzeit verlernt, ihre Tiere respektvoll zu behandeln?
HundeWelt:  Wie soll man mit dem Tod eines treuen Begleiter umgehen?

Christoph Jung: Zunächst ist dies eine sehr persönliche Frage, die individuell beantwortet werden muss. Als erstes sollte man seine Trauer zulassen und ausleben. Unser liebes Hundchen hat Tränen verdient. Wir brauchen uns derer nicht zu schämen. Meist tut es gut, mit Hundefreunden ein stückweit gemeinsam Trauerarbeit zu leisten. Es gilt dabei mehrere Phasen zu durchleben: zunächst die Abwehr, das nicht Wahrhabenwollen, das Hadern mit dem Schicksal, dann die Wut, schließlich das Realisieren des Verlustes, das Sichabfinden. Nun beginnt man mit der Reorganisation des eigenen Lebens. So wird der Boden bereitet für neue Freude, die ebenso zugelassen werden sollte. Wir brauchen diese Phasen des Trauerns. Unser verstorbener Hundefreund wird immer einen Platz in unserem Herzen haben. Es ist erfreulich, dass wir inzwischen professionelle Helfer, etwa Tierfriedhöfe oder Krematorien, haben, die es selbst in der Großstadt ermöglichen, einen würdevollen Rahmen für den Abschied zu schaffen.

HundeWelt:  Manche Hundehalter wollen sich keinen Hund mehr anschaffen aus Angst vor dem unvermeidbaren Abschiedsschmerz. Eine richtige Entscheidung?

Christoph Jung: Es ist der einzige Wermutstropfen der Partnerschaft Mensch - Hund: der Hund hat eine viel kürzere Lebenserwartung. Er hat nur etwa fünfzehn Jahre, heute durch die Versäumnisse der Zucht nur zehn. Da ist absehbar wie aus dem eben noch tollpatschigen Welpen, der unser Gesicht vor Freude strahlen lässt, ein ruhiger, treuer Hundegreis wird. Die Bilder vergehen wie im Flug. Es heißt immer, der Hund sei unser Begleiter. Tatsächlich ist es andersherum. Wir begleiten den Hund durch sein ganzes Leben. Dabei hat jede Phase ihre schönen Seiten. Auch der alte Hund hat etwas Wunderschönes in seiner tiefen Vertrautheit. Der Hund hat sein Leben erfüllt. Wegen des Abschiedsschmerzes auf die Freude dieser Partnerschaft zu verzichten, halte ich mit Konrad Lorenz für kleingeistig.

HundeWelt:  Sie halten schon lange Hunde, wie haben Sie selbst den Abschied von Ihren Lieblingen erlebt?

Christoph Jung: Als jemand der sein ganzes Leben mit Katzen und Hunden verbracht hat, gab es naturgemäß schon einige Abschiede. Es gab meist friedliche und vereinzelte, von mir als grausam empfundene Abschiede. Ich habe immer sehr gelitten, wenn eine dieser Persönlichkeiten gegangen ist. Auch heute noch kommt mir zuweilen eine Träne. Aber es überwiegen bei weitem Freude und Dankbarkeit für die gemeinsame Zeit. So kommt mir immer wieder ein Lächeln, wenn ich an diese oder jene Situation denke, wenn die alten Feunde in meinem Herzen kurzzeitig lebendig werden.

HundeWelt:  Der alte ist gegangen. Soll ein neuer Hund kommen?

Christoph Jung: Ja, ein neuer Hund bringt wieder Freude ins Haus. Es ist kein Verrat am alten Hund. Gerade wenn wir eine innige Verbindung zu unserem alten, geliebten Freund hatten, wissen wir, dass er sein Frauchen oder Herrchen immer glücklich sehen will.


Das Interview und mehr gibt es in der HundeWelt 11/2016:
Zu den Hintergründen dieser einmaligen Seelenverwandtschaft:
"Tierisch beste Freunde: Mensch und Hund - von Streicheln, Stress und Oxytocin" (Schattauer-Verlag, Reihe Wissen & Leben) von Christoph Jung und Daniela Pörtl - mit einem Geleitwort von Andreas Kieling.

(Fotos: Christoph Jung)

Freitag, 9. September 2016

Gendefekt beim Lundehund nachgewiesen

Das Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung der Tierärztlichen Hochschule Hannover (THH) hat die genetisch basierte Veranlagung für das Lundehundsyndrom wissenschaftlich zweifelsfrei nachgeweisen. Es hat ferner einen Gentest für das Lundehundsyndrom entwickelt und einsatzfähig gemacht. Das ist ein großer Fortschritt für die Zucht dieser besonderen und seltenen Hunderasse. Es kann die Hunderasse, die aufgrund von extremer Inzucht und ihrer genetischen Verseuchung mit der Veranlagung für das Lundehundsyndrom gebeutelt ist, vor dem drohenden Aussterben retten.

Rettung des Lundehunds nun möglich

Das Lundehundsyndrom ist eine schwerwiegende, nicht selten qualvolle Krankheit. Die Tierärztlichen Hochschule beschreibt das Lundehundsyndrom wie folgt: "Das Lundehundsyndrom ist eine schwerwiegende gastro-enteropathische Erkrankung für die der Lundehund eine Rassendisposition besitzt. Das Syndrom umfasst chronisch-entzündliche Defekte des Darms, Proteinverlust-Enteropathien (PLE), Lymphgefäßausweitungen im Darm sowie Magenprobleme. Betroffene Hunde reagieren unterschiedlich stark auf die Störungen im Magen-Darmtrakt mit Erbrechen, Durchfall, Gewichtsverlust bis hin zur Apathie. Eine Euthanasie ist in schwere Fällen bzw. bei einem anhaltenden chronischen Verlauf der Erkrankung häufig unumgänglich."

Lundehundsyndrom durch Mutation verursacht

Das Lundehundsyndrom wird durch eine Mutation im Gen LEPREL1 verursacht, wie die THH nachweisen konnte. Mit dem Test auf diese Mutation hat man endlich ein verlässliches Instrument in der Hand, diese Krankheit mit einem Gesundzuchtprogramm nach und nach aus der Zuchtpopulation zurückzudrängen. Laut Statuten des VDH sind die ihm angeschlossenen Zuchtvereine auch verpflichtet, solche Zuchtprogramme aufzulegen.

Unter anderem heißt es in der Zuchtordnung des VDH §2:
"Sämtliche Zuchtmaßnahmen müssen zum Ziel haben, ...  erbliche Defekte durch geeignete Zuchtprogramme zu bekämpfen. Zur Bekämpfung erblicher Defekte ist ein Vorgehen nach einem Phasenprogramm erforderlich."

Zudem verbietet bereits das geltende Tierschutzgesetz in § 11b die Zucht mit solchen schwer erbkranken Tieren:
"Es ist verboten, Wirbeltiere zu züchten..., wenn damit gerechnet werden muss, dass bei der Nachzucht, ... erblich bedingt Körperteile oder Organe für den artgemäßen Gebrauch fehlen oder untauglich oder umgestaltet sind und hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten." Werden künftig Lundehunde ohne Gentest auf Veranlagung für das Lundehundsyndrom gezüchtet so kann man von einem Verstoß gegen das Tierschutzgesetz sprechen, der auch entsprechend zur Anzeige gebracht werden muss.

Zucht ohne Gentest und Gesundzuchtprogramm ist Tierquälerei

Bisher haben sich die meisten Züchter des Lundehundes nicht durch ein Interesse an dem Wohl und der Gesundheit des Lundehundes hervorgetan. Das Interesse an der gewinnbringenden Vermarktung der Welpen scheint alles zu dominieren. So wurde die extrem hohe Inzucht beim Lundehund dem Umstand angedichtet, dass es angeblich nur ein Gründungspaar gegeben habe. Es ist ein Nebeneffekt der Forschungen unter Prof.Dr. Ottmar Distl, dass dieser Flaschenhals definitiv in das Reich der Züchterlegenden verbannt werden kann. Tatsache ist, dass allein die auf kurzsichtige Profitgier ausgerichtete Zucht dieser einmaligen Hunde diesen extremen Inzuchtgrad zu verantworten hat.

Der Lundehund ist es wert, erhalten zu werden

Der Lundehund ist ein ganz besonderer und zudem einmaliger Hund. Lunde ist der norwegische Name für den Papageientaucher, der an manchen Küsten Norwegens in großen Schwärmen brütet. Früher war die Jagd auf den Lunde ein wichtiger Teil der Nahrungsversorgung der Einheimischen. Hierbei entstand der Lundehund als Jagdhelfer. An den schroffen Küsten der Nordsee musste er die Vögel aus ihren engen Höhlen holen. Diese brüten in tiefen und engen Höhlen an den steilen, unzugänglichen und schroffen Felshängen über der kalten Meeresbrandung. Diese speziellen Anforderungen ließen einen Hund entstehen, der zahlreiche anatomische Besonderheiten aufweist. Auf diese Besonderheiten geht Lundehund-Expertin Nicole Kamphausen auf Petwatch ein:

"Norwegischer Lundehund - FCI Gruppe 5, Section 2, 265 - Der Name 'Lundehund' leitet sich ab von dem Lundevogel (Fatercula arctica-artica). Er gilt als eine der Welt seltensten Hunderassen.
Der Grund hierfür ist nicht nur in der weltweit geringen Population zu sehen, sondern insbesondere in der Tatsache, dass sich eine Anzahl seltener anatomischer Besonderheiten in derselben Rasse vereinigen. Einige dieser Merkmale finden sich bei anderen Hundeformen nur sporadisch. An jedem Fuß sind vornehmlich sechs Zehen ausgebildet, wobei oft eine siebente Zehe im Ansatz vorkommt.
Er kann die Ohren so verschließen, dass der Gehörgang vor Staub und Feuchtigkeit geschützt ist; er hat Genickgelenke, die ihn in die Lage versetzen, seinen Kopf zurückzubeugen, so dass der Scheitel den Rücken berührt. Dies hat sich evolutionär deshalb so in der Wirbelsäule entwickelt, weil es für den hochspezialisierten Hund dann praktisch und lebensrettend sein kann, wenn er sich auf der Jagd in engen Erdgängen mit der Beute im Maul umdrehen muss. Darüber hinaus verfügt er über außergewöhnlich bewegliche Schultergelenke, die ihm ermöglichen, die Vorderbeine vollkommen zur Seite zu führen.
"

Lundehund, ein einzigartiger Hund

Der Lundehund zeichnet sich neben diesen Besonderheiten als umgänglicher Familienhund aus, der auch ein verlässlicher Gefährte der Kinder ist. Der Lundehund, gesund gezüchtet, ist ein wunderbarer Begleiter. Es ist maßgeblich Nicole Kamphausen, selbst vom Lundehundsyndrom gebeutelte Halterin, zu verdanken, dass dieser grundlegende Fortschritt in der Forschung nun gemacht und zugleich ein Gentest für die praktische Anwendung in der Zucht zur Verfügung gestellt werden konnte. Nicole Kamphausen hat sich seit vielen Jahren engagiert für die Rettung dieser Hunderasse eingesetzt und musste dabei viele Verleumdungen, Beleidigungen bis hin zu handfesten Bedrohungen aus der Zuchtszene einstecken. Von dieser Stelle aus meinen herzlichen Dank an Nicole für dieses tolle Engagement!

  • Der VDH und die Züchter des Lundehundes sind nun am Zuge, endlich ein wirksames Gesundzuchtprogramm für die Rettung des Lundehundes aufzulegen, umzusetzen und zu kontrollieren. Hierzu zählt die Verpflichtung zur flächendeckenden Anwendung des nun entwickelten Gentests auf die Veranlagung zum Lundehundsyndrom.
  • Auch die Käufer von Welpen stehen in der Pflicht. Bitte kaufen Sie ab sofort nur Welpen von Züchtern, die sich nachweislich an einem Gesundzuchtprogramm beteiligen und Ihnen unter anderem auch die Ergebnisse der Gentests der Elterntiere ungefragt vorlegen. Auch die Welpen sollte auf Veranlagung für das Lundehundsyndrom getestet sein.
  • Von der Rechtslage her muss man ab sofort davon ausgehen, dass jede Zucht des Lundehundes ohne oder mit positivem Befund des Gentests und ohne Gesundzuchtprogramm gegen das geltende Tierschutzgesetz verstößt und damit strafbar ist. Möglicherweise kommen weitere Straftatbestände wie Betrug hinzu.
Ein Artikel von Christoph Jung

Sonntag, 14. August 2016

Dokumentarfilm „Freund oder Feind“ über die Ambivalenz der Mensch-Hund-Beziehung

Ende Juli war Premiere in Köln. Als Mitwirkender hatte ich Gelegenheit, vorab eine erste Version dieses Films anzuschauen. Die Filmemacherin Ruth Stolzewski lässt Prof. Dr. Kurt Kotrschal vom Wolf Science Center, die Populationsgenetikerin Prof. Dr. Irene Sommerfeld-Stur, die Ärztin und Buchautorin Daniela Pörtl sowie meine Person den roten Faden durch ihre Dokumention ziehen. Als Mitwirkender ist man nicht neutral. Trotzdem meine ich guten Gewissens sagen zu können, dass wir es mit dem derzeit besten Film zum Thema Mensch-Hund zu tun haben.

„Freund oder Feind“ beleuchtet die Wurzeln und die Entwicklung der besonderen Beziehung von Mensch und Hund. Der Film ist ein spannender Streifzug durch deren zahlreiche Facetten. Wir erleben Birgit Krüger, an MS erkrankt, mit ihrem Behindertenbegleithund Ragnar, einem so genannten Kampfhund. Wir dürfen daran teilhaben, wie Ragnar nicht nur praktische Dinge erleichtert, vielmehr durch die innige Beziehung der beiden das Leben schlicht lebenswerter macht.
Es ist immer wieder faszinierend, wenn man Border Collies bei der Arbeit zuschauen kann. Wir dürfen es. Border Collie Trainer Dr. Martin Solbach zeigt die Arbeit dieser Hütehunde mit Schafen, die zusammen mit dem Hirten eine Trilogie bilden, wie Solbach auf Basis seiner langjährigen Erfahrung plastisch erklärt. Hier wird angedeutet, welch große Bedeutung der Hund für die Menschheit bei der Herausbildung der Viehhaltung hatte. Kurt Kotrschal zieht diesen Bogen zum Wolf und dem Erfolg, den das gemeinsame Jagen mit dem Menschen nach sich zog. Daniela Pörtl beleuchtet die neurobiologischen Mechanismen, die die Annäherung der beiden Spezies erst möglich machten und noch heute für die einzigartige Bindung untereinander sorgen. Sie bringt uns die Besonderheiten dieser Verbindung zweier Spezies nahe und warum das überhaupt funktionieren kann.
In der Schweiz spricht die Regisseurin mit Experten von der Albert-Heim-Stiftung der Schweizerischen Kynologischen Gesellschaft und dem Naturhistorischen Museum Bern. Deren Präsident, Dr. med. vet. Andrea Meisser, führt durch eine Ausstellung zu Barry, dem Bernhardiner, der in den Alpen vor 200 Jahren nachweislich 40 Menschen das Leben rettete. Barry stehe als Symbol für die Arbeitsleistung der Hunde im Dienste des Menschen. Dr. Marc Nussbaumer, Kurator im Naturhistorischen Museum mit der größten Hundeschädelsammlung der Welt, zeigt die Verfehlungen der modernen Zucht anhand des Schädels beim Bernhardiner. Nussbaumer ist überzeugt, dass der Mensch nach dem Motto "can do will do", ohne Zögern alles realisieren würde, was züchterisch machbar sei und für diese Qualzuchtprodukte auch reichlich Abnehmer finden würde (Das sind auch wir tierliebenden Deutschen). Zu diesem Thema lässt Ruth Stolzewski noch weitere interessante Akteure - auch Hundegegner - sprechen.
Filmemacherin Ruth Stolzewski und ihr Team im Wolf Science Center
Die Regisseurin schreibt über einen Drehtag in Belgien: "Am letzten Tag waren wir in Belgien um dort mithilfe von Sandra Wucherpfennig von der Tierhilfe Belgien die schrecklichen Missstände in unserem Nachbarland zu dokumentieren. Im Mittelpunkt der EU werden massenweise Hunde in Welpenfarmen völlig legal produziert und verramscht und tausende gesunde Hunde in Tierheimen eingeschläfert, wenn sie nach 2 Wochen keinen neuen Besitzer finden. Ein Tierschutzskandal, von dem nur wenige wissen!" Man braucht nicht nach Rumänien oder Spanien zu gehen. Das von Menschen aus Profitgier erzeugte Elend der Hunde liegt direkt im Herzen der Europäischen Union! Industrielle Massenproduktion von Hunden und zugleich massenweise Exekutionen gesunder Hunde in Tierheimen sind die Realität am Sitz der EU-Kommission, am Sitz des EU-Parlaments, am Sitz der EU-Bürokratie mit hoher Produktivität an Vorschriften. Doch es gibt keinerlei Regularien zur Hundezucht, dafür industrielle Hundeproduktion und zugleich massenhafte Euthanasie gesunder Hunde - mitten in der EU. Wohl kein Zufall: das nennt der Ökonom einen schnellen Warenumschlag.
"Apollo", Hamburg 2000: ohne Not mit 8 Schüssen von einem Polizisten niedergestreckt und nach 1 Stunde Todeskampf euthanasiert.
„Freund oder Feind“ erinnert an eines der dunkelsten Kapitel der Mensch-Hund-Beziehung in Deutschland: das Pogrom gegen Hunde im Jahr 2000. Roswitha Murrweiss vom Verein Listenhunde-Nothilfe e.V. lässt diese schlimme Zeit für Hunde und Hundefreunde aufleben. Sie belegt, dass die Hamburger Behörden wissentlich zuschauen, wie sich ein 17fach vorbestrafter Gewalttäter um die gerichtlichen Auflagen nicht schert und seine scharf gemachten Mischlinge unangeleint und ohne Maulkorb in der Nähe eines Spielplatzes laufen lässt. Nachdem diese Hunde den kleinen Volcan tot gebissen hatten, dauerte es nur ganze zwei Tage bis die Gesetze gegen Hunde raus waren. Von den eigentlichen Ursachen, von der beschönigenden, fast komplizenhaften Ignoranz der Behörden gegenüber der Kriminalität eines bestimmten Klientels sollte abgelenkt werden. In ganz Deutschland wird, maßgeblich von den Grünen und der Bild-Zeitung angeheizt, eine pogromartige Stimmung gegen Hunde entfacht. In Hamburg werden unauffällige Familienhunde aus Wohnungen geholt und euthanasiert. In vielen weiteren Bundesländern werden (stümperhafte) Rasselisten erstellt und damit Hundeschicksale besiegelt. Wir sollten das nie vergessen! Es zeigt, wie schnell und einfach eine solche Stimmung entfacht werden kann und wie skrupellos dies durch Politiker und Medien instrumentalisiert wird.
Foto: Gerd Schuster
Großes Kompliment auch an Gerd Schuster vom Hundezentrum Mittelfranken. Der Hundekenner hat mit der Videokamera den Balkan auf den Spuren der Straßenhunde bereist. Er berichtet, dass Straßenhunde von den meisten Menschen, teils sogar freundlich zugewandt, akzeptiert werden. Schuster fragt, ob wir im vermeintlich hundefreundlichen Deutschland auch so freundlich mit Straßenhunden umgehen würden. Würde eine Mutter ihr Kind einen wildfremden Streuner streicheln lassen? Er erinnert daran, dass freilaufende Hunde auch in Deutschland noch vor wenigen Jahrzehnten zum Straßenbild zählten. Schuster fürchtet, dass sie heute keine Akzeptanz mehr in Deutschland hätten.

„Freund oder Feind“ lässt uns anhand der vielen plastischen Berichte tief in die Ambivalenz der Mensch-Hund-Beziehung blicken. Er lässt uns miterleben, durch die Experten untermauert, dass Mensch und Hund seit der Steinzeit eine enge Verbindung eingegangen sind, die bis heute lebendig ist. Wir sehen, was für ein Plus an Lebensqualität diese Beziehung gewinnen lässt - und welche Verantwortung wir für den Hund haben. „Freund oder Feind“ zeigt noch viele weitere Facetten und lässt noch eine Reihe interessanter Leute zu Wort kommen. Spannend, informativ und sachlich ergreift er Partei für den Hund.

Leider müssen wir uns noch etwas gedulden: "Freund oder Feind" wird erst ab Dezember als Video on Demand und auf DVD erscheinen.

Ein Kommentar von Christoph Jung


Bildnachweis: soweit nicht anders bezeichnet sind alle Fotos Screenshots aus der aktuellen Fassung des Dokumentarfilms „Freund oder Feind“ - mit freundlicher Genehmigung von Ruth Sophie Stolzewski

Freitag, 22. Juli 2016

Kam der Hund von der Müllkippe?

Sie ist eine der spannensten Fragen überhaupt: wie entstand der Hund? Warum und wie fanden Steinzeitmenschen und Wölfe, damals unmittelbare Wettbewerber im Kampf ums Überleben, zusammen? Wie kam es zu dieser wundersamen Wende, wo schließlich aus dem Konkurrenten unser bester Freund wurde? Eine der Antworten ist die Müllkippe. So sieht es jedenfalls der Biologie-Professor Raymond Coppinger (1).

Modell der Domestikation des Hundes an der Müllkippe

Mit der Sesshaftwerdung des Menschen seien die ersten Müllberge entstanden. Hieran hätten sich Wölfe bedient. In der ökologischen Nische "Müllplatz des Menschen" sei es zu einem Prozess der Selektion auf Zahmheit gekommen, so Coppinger. Zahmere Exemplare wären vom Menschen geduldet worden. Sie hätten einen Überlebensvorteil gehabt, da sie die Ressource "menschliche Abfälle" besser nutzen konnten. Aggressivere Wölfe seien von den Menschen vertrieben worden. Über diese Selektion auf Zahmheit habe sich der Wolf quasi selbst zum Hund domestiziert. Auf dem Canine Science Forum 2016 in Padua stellte die Verhaltensbiologin Dr. Frederike Range von der Uni Wien einige neue Gedanken zum Modell einer Domestikation des Hundes an der Müllkippe vor (2). Range sieht wie Coppinger den Effekt der Selektion auf Zahmheit an der Müllkippe des Menschen. Sie stellt davor aber eine Veränderung in den mentalen Fähigkeiten des Wolfes durch die veränderte Ernährungssituation. Aus dem kollektiven Jäger Wolf sei in der Nahrungsnische Müllplatz der individuell arbeitende Aasfresser Hund entstanden. So habe sich die gesamte soziale Struktur verändert. Das zeige sich etwa in der Aufzucht der Jungen, die nicht mehr gemeinschaftlich erfolgte, am Verlust innerspezifischer Toleranz sowie verminderter Fähigkeit, sozial zu kooperieren. Die mentalen Veränderungen, die heute den Hund ausmachen seien weniger durch die Interaktion mit dem Menschen verursacht, als durch die veränderte Methode der Nahrungsbeschaffung in der Nische Müllplatz.
Freilaufende, scheinbar herrenlose Hunde - das typische Bild rund um den Globus und früher auch in Deutschland
(c) Foto: Silvia Bosse
Hunde lieben es, im Müll zu stöbern und nach Fressbarem zu suchen. Noch vor einer Generation liefen Hunde überall in den Städten und Dörfern Mitteleuropas unangeleint herum und prüften jede Ecke nach Fressbarem. Das war ganz normal. Auch menschliche Hinterlassenschaften werden zuweilen gefressen. In weiten Teilen der Erde ist das scheinbar freie Leben der Hunde heute noch verbreitete Praxis. Rein quantitativ gibt es wesentlich mehr Hunde, die - zumindest teilweise - von der Müllverwertung leben, als die betüddelten Couch-Potatoes unserer Breiten. Doch entstand so der Hund?

Müllkippen der Menschheit

Wenn die ökologische Nische Müllkippe Grundlage der Hundwerdung sein soll, stellt sich zunächst einmal die Frage: wann und wo gab es überhaupt menschliche Müllkippen? Hier können Archäologen Auskunft geben. Müllkippen finden sie bereits in der Altsteinzeit (3). Meist sind es Reste von Steinwerkzeugen, beschädigte Pfeilspitzen oder die Abfälle aus der Produktion der Faustkeile oder Pfeilspitzen. Zum Teil werden Reste von Holzkohle gefunden. Eher selten findet man die Reste von Mahlzeiten. Die Spuren an den Knochen stammen meist von Schneid- oder Schabewerkzeugen. Zuweilen findet man auch Knochen, an denen noch Fleisch war, so dass Archäologen nicht von Menschen stammende Nagespuren feststellen. Diese stammen von allen zu jener Zeit aktiven Beutegreifern etwa Hyänen, Bären, Wölfen, Großkatzen, Schakalen oder Füchsen. Es gibt keinen Bericht über vorgeschichtliche Müllkippen, bei denen von Verbiss-Spuren speziell durch Wölfe berichtet wird. Das spricht nicht für die Evidenz einer Domestikation an der Müllkippe.

Steinzeitmenschen hinterließen kaum Müll

Die Steinzeitmenschen verwendeten von dem erlegten Wild praktisch alles: neben dem Muskelfleisch sämtliche Innereien, das Hirn, die Sehnen, Knochen, Horn, Häute und Felle. Die Mammut-Jäger der Eiszeit bauten ihre Hütten aus den Stoßzähnen und großen Knochen der Mammuts und bespannten diese mit deren Fellen. Regelmäßige Müllkippen aus Nahrungsresten der eiszeitlichen Jäger sind nicht belegt. Hie und da brachte es das Jagdglück mit sich, dass mehr Wild erlegt wurde, als man verwerten konnte. Wenn es die Jahreszeit forderte, dass der Clan weiterziehen musste und nicht alles mitnehmen konnte, so musste man den Rest zurück lassen. Das waren aber seltene Ereignisse, die im Nahrungsangebot der Kaltsteppen nicht mehr Gewicht hatten, als das Aas eines natürlich verendeten Tieres. Anthropologie-Professorin Pat Shipman hat die ältesten altsteinzeitlichen Lager von Mammutknochen untersucht (4). Man findet hier die Spuren der Steinwerkzeuge mit denen die Menschen das Fleisch abgetrennt hatten. An manchen Orten findet man die Reste von Dutzenden Mammuts. Ob dies ein Schlachtplatz war oder eine Ansammlung natürlich zu Tode gekommener Tiere, ist für die einzelnen Fundorte nicht geklärt. In der vor 40.000 Jahren schlagartigen Anhäufungen solcher Funde sieht Shipman allerdings eine Folge des verbesserten Jagderfolgs durch die ersten Kooperationen von Mensch und Protohund. Signifikant hohe Nagespuren von Wölfen oder (Proto-) Hunden werden jedenfalls auch hier nicht berichtet. Wenn die Hunde von dem erlegten Wild etwas abbekommen haben, so werden sie ihren Knochen mit etwas Fleisch eher etwas abgelegen vom Lagerplatz verzehrt haben. Hunde wollen dabei nicht gestört werden. Ein wolfsnaher, kräftiger Protohund wird von seinem Knochen zudem kaum etwas übrig gelassen haben.
29.000 Jahre alter Hundeschädel, dem man einen Mammutknochen ins Maul gelegt hat: Dank an einen verdienten Jagdpartner? Anthropos Museum, Brno, mit freundlicher Genehmigung Mietje Germonpré.
Aus deutlich späterer Zeit - wir sind aber immer noch in der Steinzeit - gibt es eine Reihe detailliert beschriebener Müllkippen. Selbst hier finden sich keine Berichte von gehäuftem Hunde-/ Wolfsverbiss. Auch jetzt noch landete kaum ein verwertbarer Knochen mit Fleisch auf dem Müll. Das ist eine Erscheinung der jüngsten Neuzeit. Der Archäologie-Professor Mike Parker Pearson interpretiert den zusammenhängenden Oberschenkelknochen eines Rinds, der bei Stonehenge gefunden wurde:
"Hier hängen die Knochen noch zusammen. So etwas passiert nur bei großen Festgelagen. Wenn alle schon satt sind, landet auch mal ein noch essbares Stück Rinderbein auf dem Abfallhaufen. Wer Hunger hat oder seinen Fleischkonsum rationieren muss, lässt nur vereinzelte, gründlich abgenagte Knochen zurück." (5) Diese Aussage bezieht sich bei einem Alter der Fundstelle von maximal 5.000 Jahren auf eine vergleichsweise späte Zeit der Menschheitsentwicklung. Da waren Hunde bereits seit mehr als 20.000 Jahren domestiziert. Wir sprechen hier also von einem Zeithorizont, der weit später liegt, als einer, der mit dem Modell der Hundwerdung auf der Müllkippe vereinbar wäre.
6.000 Jahre alte Felsmalerei aus einer Kaltzeit der Sahara (Tassili n'Ajjer)
Hunde gab es lange vor der Sesshaftwerdung des Menschen

Kontinuierlich vorhandene Müllkippen setzen die Sesshaftigkeit des Menschen und zudem relativ große Gruppen voraus. Die ältesten Hinweise auf eine Sesshaftwerdung des Menschen stammen aus der Levante des Mittleren Ostens und sind etwa 12.000 Jahre alt. Es gibt heute keinen ernsthaften Wissenschaftler mehr, der erst so spät die Entstehung der ersten Hunde datiert. Genetische und archäozoologische Analysen bestimmen den Zeithorizont auf mindestens 18.000 bis gut 40.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung (6). Hinweise auf eventuelle mehrfache Domestikationen des Wolfes unabhängig voneinander spielen dabei für die Bewertung des Modells der Domestikation des Hundes an der Müllkippe keine Rolle.

Hunde wurden als Jagdbegleiter, Wächter, Beschützer, Transportmittel domestiziert

Darüber hinaus gibt es eine Fülle von archäologischen Belegen, die den Hund weit vor der Sesshaftwerdung des Menschen sehen. Die Ritzungen und Höhlenzeichnungen der Altsteinzeit sind ebenfalls weit älter und zeigen meistens Hunde und Menschen in Jagdszenen. Vereinzelt gibt es Darstellungen von Hunden an Lagerplätzen, eine Darstellung im Kontext Müllplatz fehlt. Wir kennen steinzeitliche Gräber mit gemeinsamen Bestattungen von Hunden und Menschen wie das Doppelgrab von Oberkassel, wo zwei Menschen mit einem Hund in der Mitte beerdigt wurden. Auch hier ein klarer Befund: es ist bereits ein richtiger Hund und kein Wolf oder eine Übergangsstufe dazwischen; das Alter liegt bei 14.700 Jahren (7). Auch das belegt nicht gerade die Evidenz einer Domestikation an der Müllkippe. Dass sich Menschen mit Hunden begraben lassen, oder Hunde ein eigenes Grab erhalten haben, ist über mehrere Kontinente hinweg archäologisch vielfach belegt (8). Es ist kaum vorstellbar, dass sich die Menschen diese Arbeit machten, einem Tier eine solche Ehre erweisen, wenn es lediglich ein geduldeter Aasfresser an der Müllkippe gewesen wäre.

Hunde wurden bereits in vor- und frühgeschichtlicher Zeit als Arbeitspartner geehrt

Aus vorgeschichtlicher Zeit kennen wir die Grabmähler, Felszeichnungen und andere Hinweise auf die gemeinsame Jagd von Hund und Mensch. Treten wir nun in die geschichtliche Zeit der Menschheit ein, so gibt es sofort auch die ersten detaillierten Beschreibungen des Hundes. Auch hier seine Dokumentation als Arbeitspartner des Menschen, als Jagdbegleiter, Wächter, Beschützer, Zugtier, Motor zum Antrieb von Geräten oder Helfer der Hirten. Der große griechische Philosoph und Begründer der Biologie, Aristoteles, beschreibt ausführlich den Hund seiner Zeit vor 2.500 Jahren samt Aufzucht, Pflege, Krankheiten und seiner Einteilung in sieben Hunderassen. Auch hier dasselbe Bild der Arbeitsaufgaben der Hunde (9). Er, wie auch die alten Ägypter, belegen darüber hinaus die Existenz von kleinen Hunden, die als Begleiter, als Schoßhund, als Spielpartner der Kinder gezüchtet wurden. In den überlieferten Gesetzeswerken der Germanen werden ebenfalls konkrete Hunderassen beschrieben. Im Lex Baiuvariorum werden Hunde in verschiedenen Rassen und Einsatzzwecken beschrieben und mit eigenen Paragrafen per Gesetz geschützt, Verstöße mit hohen Strafen belegt. So etwas wäre bei Müllverwertern kaum denkbar (10).

Siesta

Zusammenfassend
kann man feststellen, dass wir keine genetischen, archäologischen oder geschichtlichen Belege anführen können, die das Modell der Domestikation des Hundes an der Müllkippe stützen. Auch die Verfechter dieses Modells verzichten auf solche Belege oder bauen wie Coppinger auf überholten Annahmen.

In seinem Schlusswort auf dem Canine Science Forum 2016 hob Professor Adam Miklósi die Bedeutung eines interdisziplinären Ansatzes für die weitere Forschung hervor. Der Hund kann nur interdisziplinär verstanden werden. Er ist ein integraler Teil der Menschheitsentwicklung, er kann nur im Kontext Mensch, dessen Historie, Arbeit, Psyche verstanden werden. Hierzu haben Daniela Pörtl und Christoph Jung ebenfalls auf dem Canine Science Forum 2016 das Modell der aktiven sozialen Domestikation des Hundes vorgestellt. Das Modell geht einen umfassend interdisziplinären Ansatz. Es verbindet die Entwicklung der Menschheit, die Co-Evolution Mensch-Hund, die Entwicklung der Produktivkräfte und die Arbeitsaufgaben des Hundes mit den Erkenntnissen der Genetik und vor allem der Epigenetik und Neurobiologie. Das Verständnis der epigenetischen Mechanismen, das Verständnis von Stress, Serotonin und Oxytocin, von Spiegelneuronen, Empathie und Joint Attention ist essentiel und unverzichtbar für das Verständnis der besonderen Beziehung von Mensch und Hund.

Ein Beitrag von Christoph Jung

Tierisch beste Freunde: Mensch und Hund - von Streicheln, Stress und Oxytocin
(Wissen & Leben) Schattauer Verlag Stuttgart, 2015
von Christoph Jung und Daniela Pörtl
Tierarzt Prof. Dr. med. vet. Dr. hc mult. Hartwig Bostedt
Mitglied der Deutschen Akademie der Wissenschaften, Leopoldina
in Tierärztliche Praxis Kleintiere Heft 6/2015, S. 408:

"Diese diffizile Problematik Mensch - Hund hat der Rezensent bislang noch nie so komplex dargestellt gesehen wie in dem vom Herausgeber der Reihe „Wissen und Leben" Wulf Bertram betreuten Werk Jung/Pörtl. Insgesamt eine intelligente, verständlich geschriebene Publikation, die allseits mit Nachdruck empfohlen werden kann. Allseits bedeutet, dass sowohl Tierärzte, Pädagogen und Biologen als auch Hundehalter aus diesem Werk Informationen schöpfen können, die die Hintergründe der Mensch-Hund-Beziehung deutlicher werden lassen."

Die ganze Rezension ist hier nachzulesen.


Literatur:

(1) Coppinger R, Coppinger L. Hunde: Neue Erkenntnisse über Herkunft, Verhalten und Evolution der Kaniden: animal Learn 2001
(2) Friederike Range, Sarah Marshall-Pescini, Zsófia Virányi Is Dog Domestication really about Humans? Padua 2016
(3) Müll - Facetten von der Steinzeit bis zum Gelben Sack: Führer durch die Ausstellung Oldenburg 2003
(4) Pat Shipman The Invaders: How Humans and Their Dogs Drove Neanderthals to Extinction Harvard 2015
(5) Überraschende Funde: Stonehenge-Dorf war Steinzeit-Großstadt, Spiegel-Online 08.11.2007
(6) Thalmann O, Shapiro B et al. Complete Mitochondrial Genomes of Ancient Canids Suggest a European Origin of Domestic Dogs Science 2013: Vol. 342 no. 6160: 871-874
(7) R. W. Schmitz, L. Giemsch: Neandertal und Bonn-Oberkassel – neue Forschungen zur frühen Menschheitsgeschichte des Rheinlandes. In: Fundgeschichten - Archäologie in Nordrhein-Westfalen: Begleitbuch zur Landesausstellung NRW 2010. Schriften zur Bodendenkmalpflege in Nordrhein-Westfalen Bd. 9, 2010, S. 346–349
(8) Morey D. Burying key evidence: the social bond between dogs and people. Journal of Archaeological Science 2006: Volume 33, Issue 2, Pages 158–175
(9) Aristoteles. Zoologische Schriften I: Historia animalium. Berlin: Oldenbourg 2013
(10) Lex Baiuwariorum. München; Documenta historiae Bd 2 Teil 1 1997
Poertl D, Epigenetic regulation of the hypothalamic-pituitary-adrenal stress axis and its effects on social behaviour Exp Clin Endocrinol Diabetes 2013; 121 - OP5_29 DOI: 10.1055/s-0033-1336637


Montag, 4. Juli 2016

Film "Freund oder Feind"

Ruth Stolzewski, die wir schon ob ihrer mutigen Film-Dokumentation zum Dobermann kennengelernt haben (Petwatch berichtete), stellt Ende Juli ihren neuen Film vor. Im Dokumentarfilm "Freund oder Feind" geht es um die ambivalente Beziehung zwischen dem Menschen und seinem ältesten Haustier, dem Hund. Der Hund ist der beste Freund des Menschen, aber ist der Mensch auch der beste Freund des Hundes? Oder sein schlimmster Feind? - so beschreibt Ruth Stolzewski das Thema ihres Film. Ein wirklich höchst interessantes Thema.

Am 31.07.2016 um 18:00 Uhr ist Premiere im Filmforum NRW in Köln.

Und es gibt schon einen Trailer:

Wir sind sehr gespannt auf "Freund oder Feind" von Ruth Stolzewski!

Ein Hinweis von Christoph Jung

Dienstag, 1. März 2016

Kennel Club dokumentiert sinkende Lebenserwartung der Rassehunde

Der älteste, wichtigste und größte Rassehundeverband der Welt, der britische "The Kennel Club" hat Ende Februar 2016 seinen Bericht über die Gesundheit der Rassehunde veröffentlicht. Er basiert auf den Zahlen für 2014 und ist der zweite nach 2004. Wir können also die Zahlen vergleichen - sofern für eine Hunderasse überhaupt ausreichend Zahlen vorgelegt werden. Die erste erschreckende Bilanz:

Von 2004 auf 2014 hat die durchschnittliche Lebenserwartung der Rassehunde um 11% abgenommen 


Statt einer Lebenserwartung von 11 Jahren und 3 Monaten hat ein Rassehund heute nur noch 10 Jahre zu leben. Dabei hatte der Kennel Club erst vor 5 Jahren Abhilfe versprochen und ein groß aufgemachtes Gesundheitsprogramm aufgelegt. Er reagierte damit auf den Druck der britischen Öffentlichkeit. 2008 hatte die BBC die großartige Dokumentation von Jemima Harrison "Pedigree Dogs Exposed" ausgestrahlt. Sie hatte die Missstände in der Rassehundezucht umfassend aufgezeigt.

Weggucken und Abducken mit System

In Deutschland verweigerten die öffentlich-rechtlichen Medien auf Druck der Lobbyisten der Agrar- und Nahrungsmittelindustrie, Veterinäre, Hundehandels- und Zuchtbranche eine Ausstrahlung dieser BBC-Dokumentation. Schließlich wurde der "Dortmunder Appell für eine Wende in der Hundezucht" veröffentlicht. Der wichtigste deutsche Hundezuchtverband VDH sah sich gezwungen, zeitweilig etwas mehr über das Thema Gesundheit in der Rassehundezucht zu reden - um aber real umso weniger zu tun.

Weder der VDH noch Tierärzteschaft oder Universitäten, noch einer der zahlreichen finanzstarken Charity-Tierschutzverbände oder sonst eine Institution in Deutschland haben es geschafft/gewollt, eine statistische Übersicht zusammenzustellen, wie sie immerhin und dankenswerterweise vom Kennel Club vorgelegt wird. Nichtsdestotrotz, der "Pedigree Breed Health Survey" 2014 zeichnet eine ernüchternde Bilanz: Es hat sich an den katastrophalen, tierschutzrelevanten Missständen in der Rassehundezucht nichts verändert, zumindest nichts im Interesse des Wohls der Hunde. Und dabei sind viele Hunderassen, die mutmaßlich besonders beschämende Zahlen zeigen würden, etwa Mops, Bordeaux-Dogge oder Französische Bulldogge, nicht einmal erfasst! Der ganze Marktanteil der Hunde aus dem internationalen Hundehandel ist ebenfalls nicht erfasst. Man muss also davon ausgehen, dass das reale Bild noch sehr viel nachteiliger hinsichtlich des Wohls der Rassehunde ausfällt. Es bleibt festzuhalten:

Binnen nur einer Dekade haben die vom Menschen gezüchteten Hunde ein noch einmal um 11,1% kürzeres Leben - einzig aufgrund der Versäumnisse des Menschen. Gesund gezüchtet müssten Hunde im Durchschnitt eine um etwa 5 Jahre höhere Lebenserwartung haben (siehe unten).

Einigen Hunderassen wurde in dieser kurzen Zeit sogar weitere 20-30% ihrer Lebenserwartung genommen (Boston Terrier, Beagle, Dobermann). Alles unter dem Mantel der Liebe für das Tier und den Hund, speziell der vermeintlichen Sorge für das Wohl der so geliebten Hunderasse.

Ergebnisse zur durchschnittlichen Lebenserwartung diverser Hunderassen (Auswahl):
  • Australian Shepard: keine hinreichend große Stichprobe gemeldet*
  • Bull Terrier: gesunken von 10 Jahren (2004) auf 7 Jahre (2014) (30% weniger)
  • Beagle: gesunken von 12 Jahren und 8 Monaten auf 10 Jahre (21% weniger)
  • Berner Sennenhund: die Lebenserwartung blieb auf dem niedrigen Niveau von nur 8 Jahren
  • Bolonka Zwetna: nicht erfasst (Petwatch berichtete zu Problemen in der Zucht dieser Hunderasse)
  • Border Terrier: von 14 auf 12 Jahre gesunken (14% weniger) (Petwatch berichtete)
  • Boxer: gesunken von 10 Jahren und 3 Monaten auf 9 Jahre (9% weniger)
  • Bulldog: weiter gesunken von eh schon tierquälerisch wenigen 6 Jahren und 3 Monaten auf nur noch 6 Jahre (Petwatch berichtete, siehe auch Bulldogge.de)
  • Cavalier King Charles Spaniel: gesunken von 11 Jahren und 5 Monaten auf 10 Jahre (12,5% weniger) (Petwatch berichtete)
  • Collie: 12 Jahre, Vergleichszahlen von 2004 nicht vorhanden (Petwatch berichtete)
  • Dackel (Langhaar): 2014 keine hinreichend große Stichprobe gemeldet*, 2004 12 Jahre und 8 Monate (über alle Varietäten)
  • Dackel (Rauhaar): 2014 keine hinreichend große Stichprobe gemeldet*, 2004 12 Jahre und 8 Monate (über alle Varietäten)
  • Dalmatianer: gesunken von 12 Jahren und 6 Monaten auf 11 Jahre  (12% weniger)
  • Deutsche Dogge: vom extrem niedrigen Niveau 2004 mit 6 Jahren und 6 Monaten auf 7 Jahre leicht angestiegen (Petwatch berichtete)
  • Deutscher Schäferhund: 10 Jahre, Vergleichszahlen von 2004 nicht vorhanden (Petwatch berichtete) Beispiel auf Crufts 2016.
  • Dobermann: gesunken von 10 Jahren und 6 Monaten auf 8 Jahre (23,8% weniger) (Petwatch berichtete)
  • Do-Khyi: nicht erfasst (Petwatch berichtete)
  • Französische Bulldogge: 2014 keine hinreichend große Stichprobe gemeldet*, 2004 skandalöse: 9 Jahre (Petwatch berichtete)
  • Golden Retriever: leicht gesunken von 12 Jahren und 3 Monaten auf 12 Jahre
  • Irish Wolfhound: vom extrem niedrigen Niveau 2004 mit 7 Jahren weiter gesunken auf 6,5 Jahre
  • Irish Setter: gesunken von 12 Jahren auf 11 Jahre (8% weniger)
  • Labrador Retriever: gesunken von 12 Jahren und 3 Monaten auf 11 Jahre (10% weniger)
  • Leonberger: 2014 keine hinreichend große Stichprobe gemeldet*, 2004 skandalöse: 7 Jahre und 1 Monat (Petwatch berichtete)
  • Lundehund: nicht erfasst (Petwatch berichtete)
  • Mops: 2014 keine hinreichend große Stichprobe gemeldet*, 2004: 11 Jahre (Petwatch berichtete)
  • Rhodesian Ridgeback: gesunken von 11 Jahren auf 9 Jahre (18% weniger)
  • Sibirian Husky: 2014 keine hinreichend große Stichprobe gemeldet*, 2004: 12 Jahre 7 Monate (Petwatch berichtete)
  • Whippet: gesunken von 12 Jahren und 4 Monaten auf 10 Jahre (19% weniger)
* Es ist bezeichnend, dass sich die Züchter dieser Hunderassen im Kennel Club - trotz formaler Verpflichtung - der elementaren Erfassung von Basisdaten der Zucht verweigern.

Die Partnerschaft Mensch-Hund ist etwas einzigartiges, wunderschönes.
Der Mensch muss seinen Verpflichtungen für diese Partnerschaft nachkommen.
Hierzu zählt als Basic die Sorge für die körperliche und mentale Integrität der Hunde.
(Foto: Christoph Jung)

Die Ergebnisse lassen sich nicht 1 zu 1 auf Deutschland übertragen. Aber sie zeigen einen Trend. In Deutschland existiert nicht einmal eine Erfassung der Daten. Lediglich einzelne Vereine erfassen Daten aus ihrem Bereich und diese werden oft wie Staatsgeheimnisse unter Verschluss gehalten. Der EU-weite Hundehandel boomt unkontrolliert. Es gibt keinerlei unabhängige Kontrolle über die Zucht und den Handel, ja es gibt noch nicht einmal gesetzliche Mindeststandards für die Zucht von Rassehunden (mit Ausnahme der baulichen Festlegungen bei Zwingern).

Profiteure des Tierelends verhindern in Berlin und Brüssel Reformen

Solche Standards verhindern in Berlin und Brüssel seit Jahrzehnten erfolgreich die Lobbys der Agrar- und Nahrungsmittelindustrie als auch die der Vetpharma und Veterinäre. Diese wollen die hochprofitablen aber tierquälerischen Methoden der industriellen Tierproduktion erhalten. Und so werden Kücken millionenfach geschreddert, Schweine in viel zu kleinen und reizarmen Ställen turbo gemästet, genetisch verarmte Hochleistungs-Kühe und Fleischbullen tausendfach invitro vermehrt, um dann ihr Leben lang in Ställen gehalten zu werden und Kälber ohne jeden Kontakt zur Mutter aufwachsen zu lassen. Es sind dieselben Großkonzerne, die Mindeststandards für die Zucht verhindern und die Hauptverantwortung für das tägliche Massenelend der Tiere tragen, die uns dann in bunten Verpackungen unter aufwändig beworbenen Markennamen das angeblich beste Futter für unsere Lieblinge verkaufen. Und mit einem kranken Hund kann man mehr verdienen als mit einem gesunden, wie ich bereits 2009 in "Schwarzbuch Hund" nachgewiesen habe. Es gibt nach wie vor keine Lobby für die Gesundheit des Hundes.
Plakat der britischen Tierschutzorganisation RSPCA zum Missständen in der Hundezucht.
Es liegen seit Jahren zahlreiche Vorschläge auf dem Tisch, wie man mit einigen wenigen EU-weit angelegten Maßnahmen, das größte Leid der Tiere wirkungsvoll und zeitnah verhindern könnte. Aber unsere Politiker in Berlin und Brüssel knicken vor der überaus mächtigen Lobby der Profiteure des Tierelends regelmäßig ein.

EU ohne Interesse an Mindeststandards für die Zucht

Man braucht eine amtliche Erlaubnis samt abgelegter Prüfung, um irgendwo in Deutschland die Angel in einen trüben Teich halten zu dürfen. Die EU regelt in seitenlangen Pamphleten jedes Detail eines "marktfähigen" Apfels und jede Salatgurke beim Discounter hat mehr amtlich vorgeschriebene Qualitätskontrollen hinter sich, als ein Welpe, der zum Kauf angeboten wird. Rassehunde züchten darf jede und jeder ohne jeglichen Nachweis der Qualifikation. Inzucht ist nicht verboten, in den Statuten vieler VDH-Vereine vielmehr ausdrücklich erlaubt und wird massenhaft praktiziert wie auch die massenhafte Verwendung einzelner Zuchtrüden (Popular Sires) in abgeschlossenen Genpools. Qualzucht ist lediglich auf dem Papier verboten, Verurteilungen hierzu sucht man vergeblich. Veterinäre haben mit künstlicher Insemination und terminierten Kaiserschnitten ein neues Geschäftsfeld etabliert. Der EU-weite Handel mit Welpen ist immer noch legal. Der Staat zeigt keinerlei Interesse daran, diesen Missständen Einhalt zu gebieten. Aber auch wir Hundehalter sind herausgefordert, uns viel kritischer und verantwortungsvoller an die Auswahl eines Welpen oder Hundes aus dem Tierheim oder bei der Wahl des Futters zu verhalten und die ökonomischen und politischen Verursacher dieser Verhältnisse in die Verantwortung zu nehmen und uns bei Bedarf an die eigene Nase zu fassen. Wo Welpen auf dem Markt, per Boten oder aus dem Kofferraum angeboten werden, muss es auch Käufer geben - verantwortungslos!

Durchschnittliche Lebenserwartung von 15 Jahren für einen Rassehund müsste Standard sein.

Kommen wir zurück auf die Erhebung des Kennel Clubs. Die Lebenserwartung der Rassehunde ist weiter gesunken. Sie war bereits 2004 weit unter den natürlichen Möglichkeiten des Hundes. In früheren Zeiten lag diese weit höher als heute und das ohne moderne veterinärmedizinische Versorgung und ohne das angeblich so gesunde Futter der Industrie. In meinen Buch "Rassehund am Ende?" hatte ich zwei Zeitzeugen zu Wort kommen lassen:

Der griechische Philosoph und Naturwissenschaftler Aristoteles verfasste vor 2.300 Jahren die "Historia Animalium" mit der er die Wissenschaft der Zoologie begründete. Aristoteles geht auf das Alter der Hunde ein und hält fest: "Der lakonische Hund lebt ungefähr zehn, die Hündin zwölf Jahre, von den übrigen Hunderassen leben die meisten Hündinnen vierzehn oder fünfzehn, einige auch zwanzig Jahre." In weiteren Schriften antiker Naturkundler werden ähnliche Angaben gemacht. Aus dem 18. und 19.Jahrhundert werden ebenfalls solche Daten überliefert, etwa von Georges Cuvier, einem der Begründer der modernen Zoologie. Er notiert 1831: "Der Hund ist alt mit fünfzehn Jahren und überlebt nicht leicht zwanzig."

Links:

Ein Beitrag von Christoph Jung




 
Petwatch Blog